Jokerkarte

Der Joker

Spiel zwischen Freiheit und Identität

Welle und Teilchen

Welle oder Teilchen

In der Quantenphysik gibt es eine interessante Zustandsform. Ganz kleine Objekte verhalten sich wie Wellen, die sich an keinem bestimmten Ort befinden, solange sie nicht beobachtet werden. Erst wenn sie gemessen und beobachtet werden, haben sie einen bestimmten Standort. Der bewusste Beobachter nimmt der Welle die Freiheit und zwingt sie in eine messbare Position. Die Welle wird zum Teilchen. Die Position des Teilchens hängt dabei vom Moment der Messung ab.

Ich weiß nicht, ob es in der Quantenphysik Joker-Teilchen gibt, die dem messenden Physiker ein Schnippchen schlagen können und nach der Messung wieder eine Welle sind, um dann an anderer Stelle wieder zum Teilchen zu werden. Wenn es so ist, kann ich mir vorstellen, dass sie es lustig finden, ihn zum Narren zu halten und sich amüsieren über sein Bemühen, es durch Messen festzulegen.

Ähnliches wie dem Quantenteilchen widerfährt dem Menschen, wenn er sich seiner selbst bewusst wird. Dem kleinen Kind ist die Welt groß und weit und grenzenlos. Es ist frei, die Welt zu entdecken, zu begreifen und zu erobern. Es ist wie eine Welle, unbestimmt und offen. Erst wenn der Mensch sich bewusst Fragen stellt, wie Was bin ich? Wer bin ich?, tauscht er seine Freiheit gegen eine festgelegte Identität.

Zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und dem Bedürfnis nach Identität in einer Gruppe wird der Mensch manipulierbar. Er wird anfällig für die magische Steuerung seines Unbewussten. So entsteht das Paradox, dass er um so stärker durch Manipulation seines Bewusstseins beeinflussbar ist, je mehr er überzeugt ist, erwachsen, rational und vernünftig zu sein. Nur das Kind, die Welle, kann erkennen, ob der Kaiser nackt ist.

Warum auch immer - bei manchen Menschen gelingt die Einordnung durch Bewusstwerdung nicht, sie bleiben frei und werden zum Joker. Sie bleiben Welle und Teilchen. Rechts oder links, Millionär oder Bettler, Gläubiger oder Atheist, das alles sind nur Rollen, die der Joker spielen, aber auch wieder ablegen kann. Die Ernsthaftigkeit der normalen, genormten Menschen und ihr Glaube an die Realität ihrer Rollen bringen ihn zum Lachen und zum Weinen.

Der Joker wird gehasst und gefürchtet, begehrt und verfolgt, verbannt und getötet, eingesperrt und therapiert. Einige Namen für den Joker sind: Unhold oder Borderliner, Schizophren oder Hexe, Verrückter oder Psychopath. Ein Friede zwischen Normalität und Joker ist schwer vorstellbar. Ein Joker, der versuchen wollte, eine feste soziale Identität anzunehmen, stirbt oder wird wahnsinnig. Er lacht sich buchstäblich zu Tode. Ein normaler Mensch, der versuchen wollte, ohne feste Gruppenidentität zu überleben, stirbt oder wird wahnsinnig. Einsamkeit und Depression würden ihn vernichten.

Es ist schwer als Joker längere Zeit zu überleben. Einige machen Karriere als Künstler, einige werden Verbrecher, aber die meisten enden durch Selbstmord oder in der Psychiatrie.

Wertekreuz

Das Wertekreuz

Die menschliche Gesellschaft ist auf Polarität aufgebaut. Gut und Böse, Macht und Ohnmacht, Reichtum und Armut stehen sich polar gegenüber. Die Guten hassen die Bösen und die Bösen hassen und verachten die Guten, die Mächtigen verachten die Ohnmächtigen und die Ohnmächtigen beneiden, bewundern und hassen die Mächtigen, die Reichen verachten die Armen und die Armen beneiden und hassen die Reichen. Auch zwischen den Schönen und Hässlichen, den Gebildeten und Ungebildeten, den Guten und Schlechten fließen emotionale Ströme aus Hass und Verachtung, Arroganz und Neid. Auf diesen gegenläufigen Emotionen basiert nicht nur die soziale Stabilität, sondern auch das unerschütterliche Gefühl von Realität und das Selbstverständnis der Menschen in der Gesellschaft.

Die Störung der sozialen Polarität erzeugt Angst, verursacht Instabilität und das Gefühl von Irrealität. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, und die Mauern der Realität zu bröckeln beginnen. Es ist die Angst vor dem Nichts im Zentrum des Wertekreuzes. Denn dort heben sich alle Pole gegenseitig auf und werden lächerlich. Das Gute und das Böse, die Macht und die Ohnmacht, arm und reich sind dort eins und hören auf zu existieren.

Dieses Nichts im Zentrum ist die eigentliche Heimat des Jokers. Er kann jede Position im Wertekreuz einnehmen ohne sie ernst zu nehmen. Dadurch unterbricht er den energetischen Fluss und destabilisiert sein gesellschaftliches Umfeld. Er bemitleidet die Reichen, verachtet die Mächtigen, verspottet die Gebildeten und entzaubert die Schönen. Wenn die gesellschaftliche Realität zusammenbricht und normale Menschen ins Zentrum gelangen, erwartet sie der Wahnsinn, die Schizophrenie, die Psychose. Sie kann nicht wirklich geheilt werden, denn wer einmal das Irreale der Polarität erlebt hat, kann sie nie wieder für real halten. Das ist das Grauen, das der Joker auslöst, der Hass, der ihm entgegenschlägt, der unbedingte Wunsch, ihn zu eliminieren, zu isolieren und unschädlich zum machen.

Einige wenige Joker veränderten, was als „normal“ galt. Das führte dazu, dass sich aus ihren Lehren eine neue Normalität etablierte. Laotse war ein Joker, Sokrates war ein Joker, Giordano Bruno war ein Joker, Friedrich Nietzsche war ein Joker.

Friedrich Nietzsche, der Zornige (Er starb vereinsamt und dem Wahnsinn verfallen)
Aus dem Buch "Jenseits von Gut und Böse"

Der Grundglaube der Metaphysiker ist der Glaube an die Gegensätze der Werte. Es ist auch den Vorsichtigsten unter ihnen nicht eingefallen, hier an der Schwelle bereits zu zweifeln, wo es doch am nötigsten war: selbst wenn sie sich gelobt hatten »de omnibus dubitandum«. Man darf nämlich zweifeln, erstens, ob es Gegensätze überhaupt gibt, und zweitens, ob jene volkstümlichen Wertschätzungen und Wert-Gegensätze, auf welche die Metaphysiker ihr Siegel gedrückt haben, nicht vielleicht nur Vordergrunds-Schätzungen sind, nur vorläufige Perspektiven, vielleicht noch dazu aus einem Winkel heraus, vielleicht von unten hinauf, Frosch-Perspektiven gleichsam, um einen Ausdruck zu borgen, der den Malern geläufig ist? Bei allem Werte, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre möglich, daß dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Wert zugeschrieben werden müßte. Es wäre sogar noch möglich, daß was den Wert jener guten und verehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlimmen, scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche Weise verwandt, verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu sein. Vielleicht! – Aber wer ist willens, sich um solche gefährliche Vielleichts zu kümmern!

Giordano Bruno, der Ketzer (Er wurde von der Inquisition zum Tode verurteilt und in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt)

VIII. Buch, 1. Kapitel "Das unermessliche Universum und die zahllosen Welten"

Anstelle der Weisheit
lockt sie deshalb das sanfte Gesicht des Wahnsinns,
während die Tiara, die Mitra oder der Lorbeerkranz
die Eselsohren bedeckt,
der Fettwanst sich unterm Talar verbirgt,
und ihre Hufe von Zierrat umhüllt sind.
So sind sie mit Lobpreisungen, Glaubensregeln, Kirchenbullen
und Siegeln der Päpste umgeben und tragen,
obwohl sie selbst kaum aufrecht stehen können,
die eigene Ausstaffierung, ihre berühmten Titel
und diese Insignien gemessenen Schrittes
in alle Richtungen huldvoll nickend vor sich her,
indes die Menschen vor ihnen auf die Knie fallen
und zu diesem Wahnsinn flehen, er möge ihre Sinne zügeln,
damit das erhabene Seelenschiff
sie zu einem besseren Leben trage.


I. Buch, 2. Kapitel „Das unermessliche Universum und die zahllosen Welten“:

Reich ist, wer vieles besitzt, reicher, wer wenig benötigt, am reichsten, wer dies alles verachtet. Wer den Reichtum liebt, der trägt an dem Reichtum, den er hat, und ist unglücklich über den Reichtum, den er nicht hat.

Laotse, der Weise (Es heißt, er wurde verbannt)

Wenn auf Erden alle das Schöne als schön erkennen,
so ist dadurch schon das Hässliche gesetzt.
Wenn auf Erden alle das Gute als gut erkennen,
so ist dadurch schon das Nicht- Gute gesetzt.
Denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.

Sokrates, der Gelassene (Er wurde in Athen zum Tode verurteilt und musste den Schierlingsbecher leeren)

„Beim Weggehen aber sagte ich zu mir: ‚Verglichen mit diesem Menschen bin ich doch weiser. Wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beiden etwas Rechtes; aber dieser glaubt, etwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß; ich dagegen weiß zwar auch nichts, glaube aber auch nicht, etwas zu wissen. Um diesen kleinen Unterschied bin ich also offenbar weiser, dass ich eben das, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube.‘

Buchtitel Der Wege der Hexe
BOD Buch Download

Der Weg der Hexe

Das Jokerkind

In dem Buch "Der Weg der Hexe"beschreibe ich die Entwicklung eines Jokerkindes. Dabei konnte ich auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.

Das Jokerkind ist ein böses Kind. Es ist rebellisch, trotzig und hat einen unbändigen Freiheitsdrang. Als größte Boshaftigkeit wird ihm seine Vorliebe zum Alleinsein angekreidet. Es spielt nicht gerne mit anderen Kindern, ist lieber für sich. Die Stigmatisierung des Einzelgängers gibt es in allen Altersgruppen. Er wird verdächtigt, etwas auszuhecken, gefährlich zu sein. Das Dogma lautet: Der Mensch braucht die Gesellschaft anderer Menschen.Wenn er sie nicht braucht, ist der Grund dafür eine durch das Böse in ihm ausgelöste Abartigkeit.

Ich erinnere mich, dass meine Selbstwahrnehmung als Kind im Erleben der Natur bestand. Bäume, Blumen, Tiere waren meine Freunde. Der Wind, die Sonne, der Regen erzählten mir Geschichten. Wenn ich mit Menschen zusammen war, verblasste meine Selbstwahrnehmung, wenn ich alleine war, lebte sie auf. Menschen störten mich. Sie waren unwichtig. Als eine Schnecke zertreten wurde, weinte ich, wenn Menschen starben oder krank wurden, ließ mich das gleichgültig. Wie gesagt, ich war ein böses Kind.

Kritisch wurde die Situation in der Pubertät. Die Anpassungs- und Rollenspiele anderer Kinder habe ich gemieden. Sie wirkten absurd auf mich. Doch in der Pubertät wird ein echtes weibliches oder männliches Rollenverhalten eingefordert. Auch heute noch trotz aller propagierten Diversität der Geschlechterrollen. Ich kann zwar entscheiden, ob ich als Mann oder Frau leben will, aber die Rolle selbst ist festgelegt: Die Frau soll schön und gütig sein, oder wenigstens so tun als ob. Bildung und Reichtum sind zwar angenehm für eine Frau, erhöhen jedoch nicht ihre sexuelle Attraktivität, im Gegenteil, es ist noch gar nicht so lange her, dass eine Frau, die gerne Bücher las, als "Blaustrumpf" abgestempelt wurde.

Die Güte der Frau ist ihre Fähigkeit, moralisch zu argumentieren. Ihre Schönheit beruht auf ihrer Fähigkeit, kunstvoll mit Kamm und Schminke umzugehen und sich vorteilhaft zu kleiden. Beides war mir nicht möglich. Das Schminken, die Frisur, die Auswahl der Kleider, werden in der Pubertät zum weiblichen Ritual, zur Chiffre der Gemeinsamkeit. Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu. Ich versuchte es, aber etwas in mir streikte. Ich empfand es als erniedrigend. Deshalb kam nur Unsinn heraus, wenn ich versuchte, mich anzupassen. Je stärker der Anpassungsdruck wurde, umso lächerlicher wurden meine Versuche.


Zwangsjacke

Jagt den Joker!

In der Pubertät ist jedes Jokerkind völlig alleine und steht als einsamer Wolf dem wohlorganisierten Rudel gegenüber. Es beginnt ein ungleicher, erbarmungsloser und fast immer tödlicher Kampf. Dabei findet dieser Kampf auf der unbewussten Ebene statt. Das Rudel ist sich nicht wirklich bewusst, wie sehr es mit seinem Anpassungsdruck den Unangepassten jagt, der Gejagte kann seine Not meist nicht artikulieren.

Wenn das Jokerkind immer wieder von neuem vergeblich versucht, die Glaswand zu durchbrechen, um sich ins Rudel einzuordnen, und ein soziales Ich, eine Identität zu finden, wird es wahrscheinlich im Selbstmord enden, wie eine Fliege, die immer wieder gegen eine Glasscheibe fliegt, bis sie erschöpft zu Boden sinkt.

Manche bemerken, dass sie verfolgt werden, wissen aber nicht von wem, und projizieren die Verfolgung je nach Kultur auf Dämonen, Außerirdische oder den Geheimdienst. Der schizophrene Verfolgungswahn ist perfekt und endet bei den netten Jäckchen, dessen Ärmel hinten zugeknöpft werden.

Manche bemerken, dass ein Kampf stattfindet, wollen sich stärken und Angst und Verzweiflung überwinden, indem sie sich abhärten und die Schmerzresistenz erhöhen. Sie verletzen sich selbst immer mehr und immer stärker, bis auch sie bei den hinten zugeknöpften Jäckchen landen.

Manche weichen dem Kampf aus, schirmen mit Drogen ihr Bewusstsein ab und werden Künstler. Dies geht jedoch nur solange gut wie sie nicht erfolgreich sind. Doch die meisten Jokerkinder sind erfolgreich, denn sie haben einen tiefen spirituellen Reichtum, der ihre Kunst befruchtet und anziehend macht. Je erfolgreicher sie sind, umso stärker wird der Anpassungsdruck durch die auf sie projizierten normativen Ideale, Wünsche, Sehnsüchte. Sie benötigen immer mehr Drogen, um ihr Bewusstsein abzuschirmen, und ihr Lebensstil wird immer exzentrischer, um nicht in die Fänge der Projektionen zu geraten und sich mit ihnen zu identifizieren.

Viele erlösen sich durch Verbrechen: Mord, Vergewaltigung, Raub. Endlich haben sie eine Identität, wenn auch eine mit negativem Vorzeichen. Das Rudel jagt sie nicht mehr, es hat Angst vor ihm. Sie sind frei, wenn auch nicht für lange.

Manche hören Stimmen, haben Halluzinationen. Wenn sie davon erzählen, ist es vorbei. Es kann sehr ungesund sein, in der Reichweite von therapiebefugten Menschen von geheimnisvollen Stimmen zu erzählen. Je nach Zeit und Kultur kann die Therapie aus Exorzieren, Verbrennen, Elektroschocks oder Psychopharmaka bestehen. Dabei ist alles gleich tödlich.

Doch wenn das Jokerkind schweigt und der Stimme zuhört, kann aus dem Unbewussten eine spirituelle Führung erwachsen, die ihm im Kampf beisteht. Mir sagte damals eine Stimme nur einen Satz: Wenn du überleben willst, musst du versprechen, nie glücklich sein zu wollen". Betonung auf "wollen". Es ist das Streben nach Glück, "pursuit of happiness", wie es in der amerikanische Verfassung heißt. Jeder soll das Recht haben, nach Reichtum, Macht, Status, Schönheit, Anerkennung, Gemeinsamkeit, eben nach Glück zu streben. Es ist dieses Streben nach Glück, das jeder Normalität und jedem Wertekreuz zugrunde liegt. Dabei ist es unerheblich, ob dieses Streben erfolgreich oder vergeblich ist. Was zählt ist der Wunsch, das Wollen, das Streben. Die Befreiung von diesem Wollen war eine Erlösung für mich. Denn wenn man dieses "pursuit of happiness" kritisch betrachtet, bedeutet es, in einem Hamsterrad einer Illusion hinterherzurennen.

Als nächstes legte mir das Schicksal die Bücher von Friedrich Nietzsche in die Hände. Ich las sie begeistert von vorne bis hinten und danach war es vorbei. Ich hatte den Kampf überlebt. Jeder Versuch, auf mich Anpassungsdruck auszuüben, löste in mir nur ein müdes Lächeln aus, das meist als Kälte und Gefühllosigkeit ausgelegt wurde.

Fraust mit Kette

Der Psychopath

Eine Hexe oder ein Joker, die dem Anpassungskampf in der Pubertät widerstehen - nicht gewinnen, denn das ist unmöglich - aber mit geistiger und körperlicher Gesundheit und in Freiheit überleben, werden zu sogenannten Psychopathen. Der Lohn oder der Preis – wie man will – besteht aus Furchtlosigkeit, Intelligenz, ursprünglicher Spiritualität und dem Fehlen von Empathie in allen auf sozialen Normen basierenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Ausnahme ist die Liebe, denn Liebe ist immer jenseits von Gut und Böse.

Die Empathielosigkeit des Psychopathen ist nachvollziehbar, wenn man sich klar macht, dass Empathie Einfühlung voraussetzt. Doch normal sozialisierte Menschen sind für den Psychopathen wie eine fremde Lebensform. Man kann sie studieren und beobachten, aber sich in sie einzufühlen ist unmöglich. Es ist die fehlende Einfühlung in sozial erlernte emotionale Verhaltensmuster, moralische Regeln und zwischenmenschliche Normen, die als Empathielosigkeit bezeichnet wird. Doch genau die Ablehnung dieser genormten, vorgegebenen Verhaltensmuster macht das Wesen des sogenannten Psychopathen aus und ist für ihn überlebensnotwendig. Genausowenig kann sich ein normaler Mensch in einen akut Wahnsinnigen einfühlen, ohne selbst wahnsinnig zu werden. Auf ähnliche Weise entwickeln Psychiater aus Selbstschutz Empathielosigkeit gegenüber schizophrenen Patienten.

Es ist für Psychopathen leichter, sich in ein Tier einzufühlen als in einen normalen Menschen, denn die Ziele und Bedürfnisse eines Tieres sind logisch und nachvollziehbar: Futter, Wärme, Liebe, Freundschaft. Doch die Bedürfnisse und Wünsche normal sozialisierter Menschen sind von außen betrachtet irrational und irreal. Denn all die Fahnen, Dogmen, Ideale, Titel, Utopien, Überzeugungen, Moden, Normen, Sehnsüchte und Ängste können zwar mit dem Verstand analysiert, aber nicht von außen mit dem Gefühl nachempfunden werden. Oft wird gefragt, ob Psychopathen therapierbar sind. Genauso gut könnte man fragen: Ist Normalität heilbar?