Doppelter Wellenring

Spiritualität und Bewusstsein

Was bedeutet Spiritualität?

Seerose

Das Wort Spiritus hat im Lateinischen eine vielschichtige Bedeutung. Seine eigentliche Bedeutung ist Wind oder Hauch. Es steht aber auch für Leben und Lebenslust, Begeisterung und Sinn. Ähnlich dem Atma aus der indischen Philosophie hat das Wort Spiritus noch die Bedeutung von Atem und von Geist und Seele. Alle diese Bedeutungen schwingen im Wort Spiritualität mit. Die Spiritualität ist der Atem der Seele. Mit ihr kommuniziert die Seele mit der Quelle ihrer Existenz. Sie belebt den Menschen und gibt ihm Sinn.

Die Spiritualität ist ein Weg zum Erfahren der Welt in uns und um uns. Durch sie kommunizieren wir auf der Ebene von Emotionen und Gefühlen. Alles kann sich dem Menschen mitteilen, jedes Tier, jede Blume, jeder Baum, jede Landschaft, jeder See, jeder Berg und jeder Sonnenaufgang, und der Menschen kann antworten. Es gibt einen ständigen Austausch von emotionaler Energie mit allem und von allem. Durch diesen energetischen Fluss steuert die Spiritualität die menschlichen Gefühle und Emotionen, aber auch sein Denken und Handeln, die Entwicklung seines Bewusstseins und seine Vorstellung von der Welt.

Durch den Verlust der Spiritualität verliert der Mensch den Zugang zur Wahrnehmung seiner Emotionen. Innere Leere, Verlassenheit und das Gefühl von Sinnlosigkeit ergreifen ihn. Die Emotionen wenden sich gegen den Menschen. Aus Vertrauen wird Angst, aus Liebe wird Gier und aus Leidenschaft wird Aggressivität.

Was bedeutet Bewusstsein?

Wellenring

Bewusstsein ist die Verbindung der Wörter Wissen und Sein. Es bedeutet das Wissen des Seins, also das Wahrhaben der eigenen Existenz, des Ichs.

Es sagt: Ich bin mir meines Seins bewusst.

Doch Bewusstsein ist mehr als Wissen und Erkennen, denn ein bewusstes Erkennen bedeutet ein rückbezügliches, ein reflektierendes Erkennen. Nicht nur der Mensch betrachtet sein Ich, sondern sein Ich betrachtet den Menschen. Daraus entstehen Fragen wie: Wer bin ich? Wo bin ich? Was bin ich? Warum bin ich? Bewusstsein ist das Erkennen des Ichs in seiner Identität in Raum und Zeit, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Wer bin Ich? Das kleine Kind an der Hand der Mutter, der starke Erwachsene, der zittrige Alte?
Wo bin Ich? Der furchtsame Mensch, der sich in der Höhle vor den Raubtieren versteckt oder der kühne Jäger, der das Wild erlegt?
Was bin Ich? Der Schwache und Kranke oder der Gesunde und Starke, der Hungrige oder der Satte?
Warum bin Ich? Der Zärtliche oder der Gewalttätige? Der Glückliche oder der Traurige?

Bewusstsein bedeutet auch ein wissendes Sein. Es sagt: Ich selbst bin es, der die Welt um mich bewusst wahrnimmt. Der Mensch reflektiert sich selbst in der Welt. Alles erhält eine Bedeutung: Die Form der Wolken, die Farben der Pflanzen und Steine, das Wispern des Grases und das Heulen der Wölfe, der Flug der Vögel und das Funkeln der Sterne, die Dunkelheit der Nacht und das Licht des Tages, das Rauschen des Wassers und die Wärme der Sonne, die Geburt und der Tod, die Nahrung und die Ausscheidungen. Nichts ist selbstverständlich, alles ist geheimnisvoll, alles wird zu einer Frage, alles verspricht eine Antwort.

Bewusstsein als bewusstes Sein bedeutet vor allem eines: Fragen stellen und Antworten suchen.

Bewusstsein und Kultur

St. Antonius
Martin Schongauer
St. Antonius und die Dämonen

Eine der einschneidendsten und kränkendsten Erfahrungen des bewussten Ichs war die Entdeckung, nicht nur ein Wesen im Raum, sondern auch ein Wesen in der Zeit zu sein. Denn bei all der Ungewissheit und den Gefahren, die in der Zukunft lauern, ist nur eins gewiss: Dort wartet der Tod. Aus den Erfahrungen seiner Gefährten und aus den eigenen Erinnerungen lernte der Mensch, was Sorgen und Ängste bedeuten:

Habe ich morgen zu essen? Wird mich ein Raubtier anfallen? Werde ich mich verletzen? Wann werde ich sterben? Werden die anderen mich alleine lassen?

Mit dem Ich-Bewusstsein ging der Seelenfrieden verloren und die Dämonen der Nacht zeigten ihre Fratzen: Angst, Schlaflosigkeit, Krankheit, Tod.

Vor den Dämonen seiner Seele floh der Mensch in die Gemeinschaft mit anderen Menschen. Gemeinsame Rituale und Opferungen wurden zelebriert, um die nächtlichen Dämonen zu besänftigen und zukünftiges Unheil abzuwehren. Die Toten wurden sorgfältig begraben, um zu verhindern, dass sie die Lebenden zu sich holen. In der kollektiven Abwehr der durch das Ich-Bewusstsein geweckten Dämonen bildete sich die menschliche Kultur. Sie gab den Menschen ein Stück Sicherheit, Ruhe und Seelenfrieden zurück.

Die Gemeinsamkeit bannte nicht nur Ängste, sondern gab auch ein Stück reale Sicherheit. Feuer vertrieb die Raubtiere. Dörfer und Siedlungen wurden mit Palisaden umgeben. Die Menschen lernten Felder zu bestellen und Tiere zu zähmen und mussten den Hunger nicht mehr fürchten. Mit der Sprache konnte das Wissen über Heilkräuter, Handwerkskunst, Tierzucht und Ackerbau von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Kulturelle Traditionen bildeten sich und mit der Arbeitsteilung konnten größere Städte mit stabileren Mauern erbaut werden.

Doch die Sicherheit in der Kultur hat ihren Preis: Das Ich muss sich dem Kollektiv unterordnen, sich anpassen, sein Verhalten von Tabus, Normen und Geboten bestimmen lassen. Es muss vor allem die daraus entstehenden Hierarchien akzeptieren, für die Macht des Kollektivs sein Scherflein abliefern und nicht gegen die Paläste von Herrschenden, von Häuptlingen, Priestern und Königen murren. Auch die gebannten Dämonen fordern ihren Tribut. Sie wollen vor allem eines: Blut. Menschenopfer, blutige Kriege, grausame Unterwerfungen und Hinrichtungen sollen sie zufriedenstellen.

In der Folge veränderte sich das menschliche Bewusstsein, schränkte sich auf die erlaubten kulturellen Inhalte ein.

Statt des spirituellen Bewusstseins, des Eingebundenseins in die natürliche Ordnung, entstand das soziale Bewusstsein des Eingebundenseins in eine kulturelle Gemeinschaft. Es meldet sich als Gewissen, wenn gegen die Gebote und Normen der Gemeinschaft verstoßen wird.

Statt des Ichbewusstseins, das sich als lebendiger, fühlender und denkender Teil der Welt erlebt, entstand das Selbstbewusstsein, das sich als Persona, als akzeptierter und wertvoller Teil einer bestimmten Gemeinschaft erfährt. Es meldet sich als Minderwertigkeitsgefühl, wenn es verunsichert wird.

Statt des Körperbewusstseins, das dem Menschen ein natürliches, instinktives Gefühl für die Bedürfnisse seines Körpers, für Gesundheit, Ernährung und Fruchtbarkeit gibt, entstand das Persona-Bewusstsein, das die kulturellen Anforderungen an das richtige Aussehen und Benehmen, die passende Kleidung, den schicklichen Geschlechtsverkehr und die gebotene Ernährung gemäß den sozialen Normen vorgibt. Es meldet sich als Scham, wenn dagegen verstoßen wird.

Die folgenreichste Veränderung war jedoch, dass der Mensch sich der Wirklichkeit nicht mehr als Widerspiegelung seines Ichs bewusst wurde, sondern als Widerspiegelung seiner Gruppe. Die Realität wurde eine Funktion der Kultur, statt eine lebendige Erfahrung des individuellen Ichs zu sein. Dadurch wurde der Wahrnehmungshorizont eingeschränkt, und die nicht akzeptierten Teile der Wirklichkeit ins Unterbewusste verdrängt.

Diese Abspaltung eines Teiles der Realität ist die Voraussetzung für JEDE Religion und Ideologie, um Anhänger und Gläubige hinter sich zu versammeln. Die eigene kritische Denkfähigkeit und Wahrnehmung wird dem Glauben geopfert und nach außen auf "die Ketzer" und "die Ungläubigen" projiziert und verfolgt. Dieses sacrificium intellectus, wie der Jesuit Ignatius von Loyola es nannte wirkt umso stärker, je widersinniger und widersprüchlicher die Glaubensinhalte sind, denn umso stärker und fanatischer müssen sie verteidigt werden. Wer auf Fakten hinweist, die der akzeptierten Realität widersprechen, wird als Ketzer, Verräter oder Verrückter ausgegrenzt. Wer vor einem gläubigen Katholiken an der der Auferstehung Christi oder der Unfehlbarkeit des Papstes zweifelt, wird als gottlos abgelehnt. Wer vor Vertretern der Wissenschaftsgemeinde die Realität von spiritueller Wahrnehmung betont, wird als abergläubisch verachtet. Kein „seriöser“ Wissenschaftler darf sich so etwas erlauben. Wer vor einem Moslem den Propheten Mohammed kritisiert, muss mit noch Schlimmerem rechnen.

Es kann zu verschiedenen Symptomen führen, wenn die verdrängte Realität ins Bewusstsein zurückdrängt. Als einzelner greift der Mensch zu Medikamenten, Drogen oder wird depressiv. Wenn die Realitäten sich überlagern, flackernd ineinander übergehen zu scheinen, wird der Mensch panisch, fühlt sich bedroht und verfolgt. Er wird psychotisch.

Wenn die Menschen gemeinsam eine Bedrohung ihrer Realität und ihrer Identität erleben, entstehen Fanatismus und Hass. Andersdenkende werden verfolgt, verurteilt und getötet. Es kann sogar zu Hass auf die Realität selbst kommen, die ein Konstrukt des Bösen genannt wird. Extreme Polarisierung der Gesellschaft, mörderische Kriege oder Bürgerkriege können die Folge von Realitätsverschiebungen sein. Jeder Ermordete, jeder Getötete, jeder Verfemte ist dann ein Beweis für die Gültigkeit der eigenen kulturellen Wirklichkeit, macht sie wieder wahr und real. Die Dämonen der Nacht lassen grüßen.

Friedrich Nietzsche
Jenseits von Gut und Böse 156.
Der Irrsinn ist bei einzelnen etwas Seltenes - aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.

Spiritualität und Religion

Kirche Innenraum

Als dem Menschen das eigene Ich bewusst wurde und damit auch seine Vergänglichkeit und sein unausweichlicher Tod, empfand er dies als tiefe Kränkung. Er verlor das Urvertrauen in die Quelle seiner Existenz und der Atem der Seele versiegte. Wie die Wurzeln eines Baumes sich in die Erde graben, um belebendes Wasser zu finden, so suchte die Seele nach Transzendenz.

Er fand sie vor allem in der Gemeinschaft mit anderen Menschen. In der gemeinsamen Naturverehrung, im Trommeln der Schamanen, in Opferungen und im rituellen Tanz fanden die Menschen das Atmen der Seele wieder. Hierarchien bildeten sich, denn wer immer die Rituale durchführte und leitete, lenkte auch die kollektive Spiritualität und damit die Emotionen, die Gefühle und das Denken der Gemeinde. Religionen entstanden, Priester beanspruchten die Stellung als Mittler zwischen Mensch und Transzendenz. Sie forderten Unterwerfung, denn ihre Gebete, Rituale und Opfer garantierten seelische Sicherheit und Sinnhaftigkeit des Lebens. So wurden die Religionen zur verlässlichen Quelle der Macht für jedes Herrschaftssystem.

Immer öfter lösten in moderner Zeit Ideologien die Religionen ab und übernahmen deren Funktion, wie Marxismus oder Kapitalismus, die Aufklärung, die Wissenschaft, der Sozialismus, der Hedonismus. Die Ideologien konnten jedoch den Hunger der Seele nicht auf Dauer stillen, und so begibt sich die Seele aufs Neue auf die Suche, um mit ihren unbewussten Wurzeln nach dem belebenden spirituellen Wasser zu graben. Oft verwandelt sich die Suche in selbstzerstörerische Sucht, wenn sie zu lange als vergeblich erfahren wird. Der Konsum verdeckt die Leere der Seele nicht dauerhaft, und die Industrie verdient Milliarden mit immer neuen Pillen und Wässerchen gegen die Sehnsucht nach Sinn und Transzendenz.

Die im Materialismus verwaiste Seele ist der Verlockung jedes Versprechens von Spiritualität und Sinn wehrlos ausgeliefert. Es ist die hohe Zeit von Gurus, Rattenfängern, Endzeitsekten, Schuldkulten und irrationalen Hoffnungen. Es kann sogar geschehen, dass sich die Transzendenz in leidenschaftlicher Verliebtheit in einer einzigen Person verdichtet, die dann für Wert und Sinn der eigenen Existenz steht. Wendet sie sich ab, steht der Mensch vor den Scherben seiner Identität und endet in Selbstmord oder in einer tiefen Depression.

Bewusstsein und "das Böse"

Max und Moritz
Wilhelm Busch
Max und Moritz

Laotse:
Wenn auf Erden alle das Gute als gut erkennen,
so ist dadurch schon das Nicht- Gute gesetzt.
Denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.


Dieselbe Entwicklung vom Natur- zum Kulturwesen, die in der ganzen Menschheit stattfand, durchlebt der einzelne Mensch in seiner Entwicklung. Einige Menschen jedoch verweigern die Einordnung in die kulturelle Matrix. Sie werden zu Rebellen, zum Bösen. Da dies oft in sehr früher Kindheit geschieht, muss der Unterschied im instinktiven, emotionalen Bereich liegen.

Der Hauptantrieb für das Akzeptieren der Normalität, der sozialen Matrix, ist die Angst: Die Angst vor dem Sterben, vor Alleinsein, vor Schmerz, vor Liebesentzug und Strafe. Es ist also anzunehmen, dass die Abweichler nicht so ängstlich und furchtsam sind wie moralisch angepasste Menschen. Oft sind auch frühkindliche Bezugspersonen nicht in der Lage, ein positives Bild der kulturellen Matrix zu vermitteln, sondern wirken eher als abschreckendes Beispiel.

Der normale Mensch bringt große Opfer für seine Anpassung an kulturelle Werte und Moral: Das individuelle Bewusstsein wird eingeschränkt auf erlaubtes Bewusstsein, erlaubte Erkenntnis, erlaubtes Fühlen und erlaubtes Denken. Die individuelle Spiritualität geht verloren. Sie wird gekapert von Religionen, Sekten, Ideologien.

Ein gewisser Teil der Menschen kann und will diese geistige und seelische Verstümmelung nicht akzeptieren. Sie sind für ihn schrecklicher als alles drohende Leid. Selbst der Tod scheint ihm besser als diese Beschneidung seiner Existenz. Deshalb rebellieren sie mit allen Mitteln dagegen: Rückzug, Unansprechbarkeit, Trotz, Gewalt, Selbstverletzung, Flucht, Bösartigkeit, Verbrechen, Mord, bewusstes Verletzen moralischer Maßstäbe. Auch die kulturelle Matrix wehrt sich: Entwertung, Strafe, Ausgrenzung, Einsperren, Liebesentzug, Hinrichtung, Elektroschocks, Psychopharmaka, Folterung, Gefängnis.

Die Matrix wird schwächer


In der Postmoderne wird die soziale Matrix stetig schwächer: Die Identitäten werden unbestimmter, die Werte beliebiger. Die kulturelle Matrix zersplittert in einzelne Bestandteile, die sich gegenseitig nicht mehr verstehen und verständigen können. Zwischen Globalisierung, Konsum und Materialismus geht die spirituelle Orientierung verloren. Die digitalen Medien begünstigen den individuellen Rückzug. Der Feminismus zerstört die instinktive emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. Die einzigen Waffen, die der Matrix noch bleiben, sind Therapien, Drogen, Medikamente und Psychopharmaka.

Niemand weiß, was aus dieser Schwächung der Matrix folgt. Werden die Menschen regredieren zu ferngesteuerten, analphabetischen Junkies wie im Roman "1984" von George Orwell? Möglich ist, dass "das Böse" sich immer weiter ausbreitet. Vielleicht geschieht auch beides zugleich.

Erotische Darstellung an einem Tempel
Darstellung an einem Tempel in Indien

Spiritualität, Sex und Tod

Spiritualität ist die Natur in uns und wenn sich die Spiritualität einen Weg in die kulturelle Realität bahnt, ist es die Natur selbst, die sich diesen Weg bahnt. Die Natur ist weder gut noch böse, und genauso ist die Natur in uns weder gut noch böse. Spiritualität als ein Synonym für Friede, Freude, Eierkuchen ist deshalb falsch.

Die zweite Quelle spiritueller Erfahrung ist in allen Kulturen die Sexualität. Sehnsucht nach Spiritualität findet ihren Ausdruck in sexuellem Verlangen. Dies verstärkt Macht und Einfluss der Sexualität auf das Fühlen und Handeln der Menschen um ein Vielfaches. Sie wurde zum Gegenspieler der Religionen, die das Monopol auf Spiritualität für sich beanspruchen. In jeder Kultur wurde deshalb die Sexualität streng reglementiert und mit Vorschriften und Ritualen umgeben. Die Religionen waren bestrebt, die sexuellen Energien zu unterdrücken oder für sich zu vereinnahmen. Dies reichte von der Tempelprostitution bis zum Zölibat, mit dem sich die Kirche als alleinige Quelle von Spiritualität legitimieren und damit ihre Macht und Pfründe absichern will.

Kardinal Meisner (Interview in der Welt vom 10.07.2010) : "Bei einem Zölibatär muss man immer sagen: Entweder ist der verrückt, oder es gibt Gott. Eine andere Alternative gibt es nicht. Und wenn die Menschen feststellen, der ist nicht verrückt, dann muss es Gott geben. Überzeugend gelebt ist der Zölibat immer noch der schlagendste Gottesbeweis."

Seit die Religionen immer mehr an Einfluss verlieren, steigt die Bedeutung von Sex für das emotionale Gleichgewicht. Im Hedonismus hat die Sexualität den Status einer Religion. Sie wird zelebriert in Erotikmessen, Sexshops, Pornos, Swingerparties, Masturbationskursen, Sadomasoparties, in indischen Ashrams oder in großstädtischen Clubs. Ähnlich religiösen Umzügen wie der Fronleichnamsprozession werden Paraden veranstaltet. Sie heißen Loveparade oder Christopher Street Day und dienen wie alle Paraden der Machtdemonstration. Allerdings verliert Sexualität die spirituelle Dimension, wenn Sex und Fortpflanzung wie im Hedonismus auf Dauer voneinander getrennt sind. Die Befriedigung lässt nach und der Kick muss erhöht werden. Dies führt letztlich zu überbordender Sexualisierung der Gesellschaft, Depressionen, Vergewaltigungen, sexuellen Exzessen und Sexsucht.

Eine weiter Quelle spiritueller Energie ist der Tod. Der emotionale Kick des Todes wird in Gewaltfilmen geliefert. Je mehr Menschen darin ermordet werden, je grausamer ihr Tod ist und je detaillierter er dargestellt wird, umso stärker ist die spirituelle Befriedigung für den Betrachter. Die eigentliche Domäne des Todes ist der Krieg: Wenn im Bombenhagel Millionen getötet werden, wenn mit Phosphorbomben die Menschen bei lebendigem Leib verbrennen, ist der Tod in seinem Element und das kulturelle Gleichgewicht wieder hergestellt. Auch der Tod kennt seine Prozessionen: Es sind Militärparaden und Waffenschauen.

Sex und Tod sind als Quelle von Spiritualität und emotionaler Energie wie kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Wer das eine verstärken will, muss das andere unterdrücken. Deshalb sind sexuell liberale Kulturen wenig aggressiv und gewalttätig. "Make Love, not War." Kulturen, die der sexuellen Liberalität ablehnend gegenüberstehen neigen mehr zu Gewalttätigkeit und Krieg.